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Interview mit Elfie Semotan

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In Die Spitze des Eisbergs (30.11.2019 – 13.4.2020) erforscht das Museum der Moderne Salzburg anhand zwölf kuratorischer Positionen seine Sammlungsgeschichte einschließlich der vorhandenen Leerstellen und liefert Antworten zu Fragen des musealen Sammelns und Ausstellens. Kuratorin Andrea Lehner-Hagwood hat dazu ein Interview mit der Künstlerin Elfie Semotan (1941 Wels, AT – Wien, AT / Jennersdorf, AT / New York, NY, US) geführt.

Elfie Semotan, von der in der Sammlung des Museum der Moderne Salzburg knapp 20 Porträtarbeiten vorhanden sind, ist seit mehr als 40 Jahren überwiegend im Bereich der Modefotografie tätig. In ihren Werken spielen kunsthistorische Referenzen und deren Reaktivierung und Reinszenierung eine wichtige Rolle. 1996 porträtierte sie ihren Ehemann, den Maler Martin Kippenberger (1953 Dortmund, DE – 1997 Wien, AT), knapp ein Jahr vor dessen Tod in den nachgestellten Posen der Schiffbrüchigen aus dem Gemälde Das Floß der Medusa (1819) von Théodore Géricault. Nach diesen Vorlagen entwickelte Kippenberger eine Reihe von Selbstporträts in Form von Zeichnungen, Lithografien und Gemälden.

Andrea Lehner-Hagwood: Im Rahmen der Ausstellung Die Spitze des Eisbergs, zu der das gesamte kuratorische Team des Museum der Moderne Salzburg beigetragen hat, zeige ich Ihre Serie Das Floß der Medusa. Ich habe diese Arbeit stellvertretend für alle anderen Positionen in der fotografischen Sammlung des Museums ausgewählt, die Re-Enactment als Thema haben. Die Arbeit wurde seit ihrem Entstehen 1996 in verschiedene Publikationen über Ihr Werk aufgenommen und ich habe bereits einiges darüber gelesen, möchte aber gerne Ihre persönliche Sicht darauf erfahren.   

Elfie Semotan: Es gibt ja viele Arbeiten von mir, egal ob Mode- oder Werbefotografie, in denen ich kunsthistorische Vorlagen verwendet habe, um etwas Neues zu fotografieren. Inspiration bezieht man aus dem Alltag oder aus Büchern, die Kunstgeschichte ist hier natürlich besonders anregend. Das Gemälde von Géricault war ein ganz spezieller Fall.

AL: Wissen Sie, wie Martin Kippenberger zum Motiv des Floßes der Medusa gekommen ist?

ES: Als ich ihn kennengelernt habe, war er bereits fasziniert von Géricault und speziell von diesem Gemälde. Als er dann den Wunsch äußerte, das Gemälde als Vorbild für eine Fotoserie zu verwenden, war das für mich keine Absonderlichkeit, weil ich dieses Verfahren, Anregungen aus der Kunstgeschichte zu verarbeiten, selbst seit langer Zeit praktiziert hatte.

AL: Als ich diese Serie für die Ausstellung ausgesucht habe, fand ich gerade das so faszinierend: Hier treffen zwei starke Positionen aufeinander, die sich gegenseitig inspirieren. Ich finde das einzigartig. 

ES: Es kommt immer darauf an, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Intention man an die Dinge herangeht. Martin Kippenberger hatte einerseits seine eigenen Ideen und Vorstellungen, andererseits hat er seine Inspirationen hemmungslos von überallher genommen, von der deutschen Bild-Zeitung genauso wie von Géricault. Diese Vorgehensweise war für ihn ganz selbstverständlich, das hat ihn überhaupt nicht gekümmert. Ich finde das auch ganz richtig, denn man muss diesen Prozess der Inspiration nicht besonders verkleiden. Das hat etwas Befreiendes.

AL: Ich habe gelesen, dass Martin Kippenberger bereits in seiner frühen Kindheit mit Fotografie in Berührung gekommen ist, weil sein Vater begeisterter Amateurfotograf war. Seit Beginn seiner künstlerischen Laufbahn hat er immer wieder, wie Sie auch sagen, auf fotografische und andere Vorlagen Bezug genommen. So gesehen, ist seine Entscheidung für die Übertragung von Géricaults Motiv in eine Fotoserie nicht ungewöhnlich. Auffällig ist jedoch – in Anbetracht dessen, dass die Arbeit ein Jahr vor seinem Tod entstanden ist – die Wahl gerade dieses Motivs. Eine gängige Interpretation, die immer wieder geäußert wird, lautet denn auch, dass sich in den einzelnen Posen der zerstörte Künstler spiegelt, der sich seinem Ende entgegensehnt. Wie sehen Sie das?  

ES: Diese Selbstdarstellung als Schiffsbrüchiger – oder als Überlebender – ist eine sehr dramatische Darstellung, die man natürlich auf ihn als Person beziehen kann. Naheliegend ist diese Sichtweise, wenn man sich auf die Position, die man in der Kunst einnimmt oder einnehmen möchte, bezieht. Sie haben aber recht: Diese Art der Selbstdarstellung wurde immer wieder als Todessehnsucht interpretiert, wohl wegen der enthaltenen Dramatik. Ich glaube, Martin wollte zu dieser Zeit sehr gerne leben … Es war kein Verzweiflungsakt, sich so darzustellen. Im Gegenteil, bei den Aufnahmen mussten so viele praktische Überlegungen angestellt werden. Ich weiß auch, dass sich Martin davor gefürchtet hat, dass meine Fotografien womöglich zu perfekt werden. Ich wusste aber schon für mich, dass man verschiedene Dinge nicht zu perfekt inszenieren und ausführen darf, weil man sie dann umbringt. Wenn man Sachen zu lange und zu genau installiert und ausleuchtet, nimmt man ihnen die Lebendigkeit. Darauf muss man genau achten, wenn man fotografiert. Es ist immer eine Kombination aus einem guten Arrangement der Umgebung und einer großen Freiheit der Interpretation, damit am Ende etwas Intensives herauskommt.

AL: Wie lief die Zusammenarbeit ab? Fand sie auf Augenhöhe statt? Konnten Sie sich mit Ihren Ideen in gleichem Maße wie Kippenberger in die Inszenierung einbringen?

ES: Er wollte, dass ich ihn so fotografiere, wie ich es für gut erachte, und er hat seinerseits versucht, seinen Teil gut zu machen, nämlich die Darstellung der einzelnen Figuren. Mein Part war es, die Umgebung so zu gestalten, dass sie möglichst authentisch wirkt: das Licht so zu arrangieren, dass das Meer und das Floß zu erkennen sind. Welchen Winkel verwende ich, damit alle diese Voraussetzungen erfüllt werden? Das waren Entscheidungen, die ich sehr schnell treffen musste, wenn Martin gerade in der richtigen Position war. Wir haben beide unsere Ideen vollkommen frei eingebracht.

AL: Diese Arbeit wird in der Literatur sehr ausführlich besprochen, Sie werden jedoch stets lediglich als Fotografin der Serie genannt. Über Ihre Zusammenarbeit wird so gut wie gar nichts gesagt. Was denken Sie: Warum ist das so?

ES: Viele Leute kennen Martin, mich aber nicht – so ist offensichtlich eine Art Wertung unserer Zusammenarbeit entstanden. Tatsächlich war zwischen uns aber gar nichts Hierarchisches vorhanden; und was wirklich hinter diesem Projekt stand, ist in der Rezeption und in der Literatur, die mittlerweile dazu existiert, kaum sichtbar.

AL: Die Arbeit besteht aus neun Fotografien, auf dem Gemälde sind jedoch 15 Figuren zu sehen. Wie ist diese Abweichung zustande gekommen?

ES: Ursprünglich gab es elf Aufnahmen, aus denen ich diejenigen ausgesucht habe, die mir gelungen erschienen. In den Zeichnungen und Gemälden, die Martin auf Basis dieser fotografischen Serie geschaffen hat, kehrt er die Motive um, es sind jedoch dieselben Körperhaltungen wie auf den einzelnen Fotos.

AL: Haben Sie schon einmal die Perspektive gewechselt und sich selbst vor der Kamera inszeniert? Ich kenne nur ein einziges Selbstporträt von Ihnen …

ES: Nachdem ich eine Zeit lang selbst gemodelt habe, war ich froh, dass ich nicht mehr vor der Kamera stehen musste. Sich jedoch mit dem Selbstauslöser zu fotografieren, schafft ganz andere Voraussetzungen, die viel mehr Spaß machen. Vor längerer Zeit habe ich eine Serie angefangen, die aber noch nicht beendet ist. Ich hatte immer schon vor, ein Modellbuch zu machen, um zu zeigen, wie irreführend gängige Sedcards sind: Dort sieht man eine Person, die bestmöglich inszeniert und fotografiert ist, also das Ende und das Resultat dessen, was in der Fotografie – auch technisch gesehen – möglich ist. Spannender ist aber doch, den Anfang zu zeigen: Jedes Licht verändert eine Person total. Es macht sie schön, hässlich oder es entstellt sie. Es ist unglaublich, was allein das Licht ausmacht. Das wollte ich an mir selbst ausprobieren.

AL: Ich Danke Ihnen für das Gespräch.

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