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Utopien soweit das Auge reicht

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„2020 werde ich mehr Sport betreiben.“ „Dieses Jahr ernähre ich mich gesünder.“ „Heuer werde ich gleich zu Jahresbeginn den Steuerausgleich machen.“ – Kommt Ihnen das bekannt vor? Diese und andere Vorsätze fassen die meisten von uns zu Beginn eines neuen Jahres, doch nicht immer gelingt es uns, diese auch in die Realität umzusetzen. Unsere guten Absichten verwerfen wir oft schneller wieder als uns lieb ist und zurück bleibt nur das Wunschdenken – ein utopischer Gedanke.

Wie die von uns verworfenen Utopien aussehen können, das veranschaulichen Walter Martin und Paloma Muñoz in der Ausstellung A Mind of Winter im Museum der Moderne Salzburg, im Rupertinum. In der Installation Utopia Work Station sammeln sie von Besucher_innen verfasste Wunschwirklichkeiten, die buchstäblich im Müll gelandet sind. Wie das Herzstück ihres Oeuvres – die Snow Globes –, auf denen zahlreiche Werkgruppen basieren, ist auch Utopia Work Station eine Schneekugel. Diese ist jedoch nicht so klein und handlich wie jene, die zwei Räume weiter ausgestellt sind, sondern überlebensgroß und lädt zum Betreten ein. Ist den Besucher_innen für gewöhnlich nur der Blick von außen vergönnt, so können sie hier nachempfinden, wie es sich anfühlt, mit den Figuren aus den Schneekugeln die Plätze zu tauschen.

Abgeschottet von der Hektik des Alltags und im sicheren Kosmos der Schneekugel können Sie in der Kugel am Schreibtisch Platz nehmen. Auf dem Tisch finden Sie eine alte Schreibmaschine und einen Stapel Papier; auf dem in der Schreibmaschine eingezogenen Blatt hat der/die vorherige Besucher_in seine/ihre Utopie für Sie zum Lesen hinterlassen. Doch da dies nicht Ihrer persönlichen Utopie entsprechen muss, werden Sie dazu aufgefordert, das Stück Papier aus der Schreibmaschine zu nehmen, zu zerknüllen und es in den Papierkorb neben Ihnen zu werfen, der vor verworfenen Utopien bereits überquillt. Danach spannen Sie ein leeres Blatt Papier in die Schreibmaschine ein und beginnen zu tippen – schließlich möchten auch Sie Ihre utopischen Gedanken mit Ihren Mitmenschen teilen…

Dass es sich um positive Gedanken handeln soll, ist vom Künstlerpaar dennoch gewünscht, denn Dystopien gibt es heutzutage schon viel zu viele – wie auch die Arbeiten in der Ausstellung zeigen. Martin und Muñoz entwerfen detailverliebte, winterliche Szenarien in Schneekugeln und Dioramen, doch auf den zweiten Blick wird klar, dass die Motive von Schneekugelromantik weit entfernt sind: Aneinander gekettete Figuren sind in kalten Winterlandschaften eingeschlossen, Kinder geleiten Erwachsene zum Galgen, Großmütter sind mit Maschinengewehren bewaffnet, und irgendwann zwischendrin wissen wir nicht mehr, wer Mensch und wer Tier ist. Bei Martin und Muñoz ist schlichtweg alles möglich. Im Rupertinum finden Sie in den Arbeiten des Künstlerpaars auch zahlreiche kulturelle Verweise aus der bildenden Kunst, der Literatur oder aus Science-Fiction-Filmen. So erinnert Can Not Tell The Keepers From The Kept, eine vernagelte Miniaturtür, an Lewis Carrolls Alice im Wunderland und gleichzeitig an Stanley Kubricks und Stephen Kings Shining.

Nostalgisch kann man bei den Arbeiten von Martin und Muñoz dennoch werden, denn das Künstlerpaar kritisiert auch den technischen Fortschritt: In Utopia Work Station wird bewusst eine Schreibmaschine und kein Computer mit Druckeranschluss verwendet. Ist dieses Schreibgerät für die jüngere Generation eine kleine Herausforderung (Wie befreie ich das alte Blatt aus dem Papiereinzug? Und wie ziehe ich das neue ein?), so verbinden es viele Erwachsene mit der „guten alten Zeit“. Dass uns die neumodischen Erfindungen wie Smartphones, Alexa und Co einholen und inzwischen auch reale Gefahren darstellen (können), wird uns spätestens bei der Fotoserie Blind House auf Ebene 2 nochmal deutlich bewusst. Dabei fotografierten Martin und Muñoz amerikanische Vorstadthäuser ab und entfernten nachträglich alle Fenster und Türen, denn diese werden nicht mehr benötig, um Mitmenschen zu beobachten und auszuspionieren. Durch den technologischen Fortschritt sitzen wir alle buchstäblich im Glashaus – in einer überlebensgroßen Schneekugel.

Wenn Sie sich von Ihrem Erlebnis mit der Utopia Work Station eine Erinnerung mitnehmen möchten, können Sie am Ende des Ausstellungsrundgangs ein Exemplar der speziell für das Museum der Moderne Salzburg geschaffenen und vom Künstlerpaar signierten Schneekugel-Edition, die die Miniaturversion der Installation zeigt, erwerben. Dann haben Sie sich vom Besuch im Rupertinum somit nicht nur ein Unikat mitgenommen, sondern auch Ihren Neujahrsvorsatz, das Weihnachtsgeld Ihrer Eltern in etwas ganz Besonderes einzutauschen, in die Tat umgesetzt.

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